Unsicherheitsfaktoren bei der Kiefernspannerprognose und Möglichkeiten ihrer Überwindung. Mit einer Ermittlung der Nadelverbrauchsnormen und kritischen Zahlen von Bupalus piniarius L. und Semiothisa liturata Cl.
DOI:
https://doi.org/10.21248/contrib.entomol.2.2-3.189-243Abstract
1. Zum Zwecke einer Präzisierung der heute noch sehr im argen liegenden Prognose der Schadwirkung nadelfressender Kieferngroßschädlinge wird, speziell für den Kiefernspanner, versucht, die der Prognose zugrundeliegenden Methoden des Probesuchens, der Ermittlung der kritischen Zahlen sowie der eigentlichen Vorhersage des Schadens auf die ihnen innewohnenden Unsicherheitsfaktoren sowie die Möglichkeiten deren Überwindung hin zu untersuchen. 2. Unabhängig von diesen Methoden liegt schon im Begriff "Kiefernspanner" insofern ein Unsicherheitsfaktor, als sich hierunter zwei Arten, der gewöhnliche Kiefernspanner (Bupalus piniarius L.) und der veilgraue Kiefernspanner (Semiothisa liturata Cl.) verbergen, die sich beide im Aussehen der Puppen und Raupen ähneln, bezüglich ihrer Bionomie aber völlig voneinander verschieden sind. Die Prognose muß beide, und zwar gesondert, berücksichtigen, wozu die Erforschung der Bionomie und forstliche Bedeutung von Semiothisa liturata Cl. notwendig ist. 3. Die im Probesuchen enthaltenen Unsicherheitsfaktoren können dadurch überwunden werden, daß einmal die Suche auf das Puppenstadium beschränkt wird, zum zweiten beim Suchen Kiefernertragsklasse, Bestandesklima, Kronenfläche und Bodendeckenbeschaffenheit berücksichtigt werden, und drittens der Suchfehler durch Beschränkung der Zahl der Suchenden und Verlängerung der Suchzeit praktisch beseitigt wird. - 4. Es wird gezeigt, daß die die Grundlage der Prognose bildenden kritischen Zahlen sich am sichersten aus der Nadelverbrauchsnorm einer Raupe bestimmen lassen. Die Unsicherheitsfaktoren bei der Verbrauchsnormbestimmung lassen sich, je nachdem, ob sie alle bisher bekannten Bestimmungsmethoden gleichermaßen belasten oder nur an einen Teil derselben gebunden sind, in prinzipielle und spezielle einteilen. Zu den ersteren gehören vor allem die in der Wahl des Zuchtortes, des Zuchtbehälters und der Raupenzahl sowie die durch die Fragen nach dem Einfluß von Raupengeschlecht, Raupenkonstitution und Klimafaktoren auf die Verbrauchsnorm zum Ausdruck kommenden Unsicherheitsfaktoren. Die wichtigsten speziellen Unsicherheitsfaktoren sind die der Nadellängenmethode zukommende Unsicherheit bei der Umrechnung von Nadellänge in Nadelmasse, - der die Nadellängen- und Luftwelkmethode belastende Einfluß der Futterwelkung auf die Fraßleistung, - die in der Luftwelkmethode enthaltene Unsicherheit bei der Übertragung des Welkprozentes von einem Kontroll- auf einen Futterzweig sowie die bei der Methode am Baum auftretende Gewichtsveränderung lebender Nadeln während der Fraßzeit. An Hand von Kontrollversuchen und Überschlagsrechnungen wird versucht, die Größenbereiche der die Verbrauchsnormen hierdurch belastenden Fehler zu bestimmen. - 5. In Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse wird eine neue Methode der Nadel-verbrauchsbestimmung, die Wasserwelkmethode, beschrieben, die praktisch frei von Unsicherheitsfaktoren ist. - 6. Die aus der Verbrauchsnorm errechnete kritische Raupenzahl sowie die daraus abgeleitete kritische Puppenzahl werden besser nicht mehr, wie bisher, auf Alters- und Ertragsklasse der Kiefer, sondern auf eine Standardnadelmasse von 1000 g bezogen, wodurch die bei der Nadelmassenbestimmung eines Bestandes auftretenden Unsicherheitsfaktoren aus den kritischen Zahlen eliminiert werden. - 7. Bei der Ableitung der kritischen Puppenzahl aus der kritischen Raupenzahl müssen die in ihrer Größe wechselnden Faktoren: Geschlechterverhältnis (= krit. Raupenzahl), Nadelverbrauchsnorm, Falter-, Ei- und Raupenmortalität, sowie Zahl abgelegter Eier mit konstanten Größen eingesetzt werden, die aber so zu wählen sind, daß die krit. Puppenzahl einerseits stets unterhalb der wirklichen krit. Grenze bleibt (d.h. der prognost. Sicherheit genügt), zum anderen aber wieder nahe genug an diese Grenze herankommt, um als Warnzahl dienen zu können. - Die Größenkombination: Geschlechterverhältnis 1:1 (= mittlere krit. Raupenzahl), mittlere Verbrauchsnorm, fehlende Falter-, Ei- und Raupenmortalität und mittlere Zahl abgelegter Eier entspricht den genannten Bedingungen in erster Annäherung. - 8. Es erscheint in Anbetracht der wahrscheinlich auftretenden örtlichen und zeitlichen Schwankungen des Geschlechterverhältnisses der Spannerpuppen besser, die durch Division der kritischen Raupenzahl durch die Zahl der abgelegten Eier gewonnene kritische Zahl weiblicher Puppen auch tatsächlich als solche ("kritische W-Puppenzahl") beizubehalten und sie nicht, wie bisher, durch Verdopplung (und damit Zugrundelegung eines Geschlechterverhältnisses von 1:1) zur kritischen Gesamtpuppenzahl zu erweitern. - 9. Die auf 1000 g Nadelmasse bezogenen kritischen Zahlen bedürfen zur praktischen Anwendung einer Umrechnung auf die jeweilige Bestandesnadelmasse. Die bei der Bestimmung der letzteren heute noch vorhandene erhebliche Unsicherheit in naher Zukunft zu überwinden, besteht berechtigte Hoffnung. - 10. Bei der eigentlichen Prognose schließlich wird nach Feststellung der Weibchenpuppenzahl des Bestandes zunächst die Zahl an abgelegten Eiern durch Freilandzucht bestimmt. Hierbei muß die Faltermoralität unberücksichtigt bleiben. Der dadurch in die Prognose kommende Fehler ist aber immer noch weit kleiner als derjenige, der durch Eizählung an gefällten Bäumen entstehen würde. Nach Feststellung der Eimortalität (durch Fällung oder evtl. aus der Freilandzucht ergibt sich die Jungraupenzahl des Bestandes. Die nunmehr auftretende Raupenmortalität ist nicht vorhersehbar, weshalb die Prognose hier enden muß. Durch Vergleich der Jungraupen mit der kritischen Altraupenzahl ist eine Schätzung des zu erwartenden Schadens möglich. - 11. Im praktischen Teil der Arbeit werden nach der Wasserwelkmethode die Verbrauchsnormen der beiden Kiefernspannerarten Bupalus piniarius L. und Semiothisa liturata Cl. bestimmt und die kritischen Zahlen daraus berechnet, wobei die Werte infolge Bestehenbleibens einiger Unsicherheitsfaktoren nur vorläufigen Charakter haben. - Die Verbrauchsnorm von Bupalus beträgt 2,85 g (Nahrungsnorm 2,39 g) Frischnadelmasse. Als kritische Zahlen ergeben sich hieraus eine kritische Raupenzahl von 350 und eine kritische W-Puppenzahl von 3,0 jeweils pro 1000 g Frischnadelmasse. - Die Verbrauchsnorm von Semiothisa beträgt 2,70 g (Nahrungsnorm 1,95 g) Frischnadelmasse. Als kritische Zahlen ergeben sich hieraus eine kritische Raupenzahl von 370 und eine kritische W-Puppenzahl von 5,0 jeweils pro 1000 g Frischnadelmasse.